Generation WTF (XXL): Zugreifen, bitte!

Generation WTF (XXL): Zugreifen, bitte!
Generation WTF (XXL): Zugreifen, bitte!

Warum du schneller im Chefsessel sitzen könntest, als gedacht. Foto: Ljupco, istock

Der Fachkräftemangel ist in aller Munde. Gerüchten zufolge werden selbst bei IKEA keine Regale mehr aufgestellt, weil es an – ba dum tss – Fachkräften mangelt. Spaß beiseite, das allgegenwärtige Thema betrifft auch im Lausitzer Lande zahlreiche Bereiche vom Grundschullehramt bis zum Möbelbauer.

In diesem XXL-Beitrag unserer „Generation WTF“-Reihe möchten wir nicht die nächsten sein, die den Teufel an die Wand malen – obwohl wir uns als fähige Maler wohl vor Jobangeboten nicht retten könnten. Stattdessen möchten wir die Chancen aufzeigen, die sich jungen Menschen aufgrund der möglichen Katastrophe ergeben. Bekanntlich bietet ja jede Krise auch eine (Karriere)Chance – des einen Mangel ist des anderen Wertsteigerung.

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Um dir deinen zukünftigen Wert zu verdeutlichen, liefern wir trotzdem erstmal ein paar teuflische Fakten. Der Mangel ist schon heute real – das verdeutlicht ein Blick auf zwei einfache Statistikwerte. Die Arbeitslosenquote sinkt, gleichzeitig steigt die Anzahl an freien Arbeitsstellen in Deutschland. Das bedeutet im Umkehrschluss: Für immer mehr Stellen stehen immer weniger Menschen zur Verfügung. Das hängt mit der Altersstruktur der greisenhaften deutschen Bevölkerung zusammen: Während immer mehr Menschen aus der Babyboomergeneration in Rente gehen, rücken weniger junge Beelzebuben nach.

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Die alternde Bevölkerung
… kommt im sogenannten Osten besonders zum Tragen. Eine Ursache davon liegt in dem höllischen Strukturbruch, der sich in der Nachwendezeit ereignete. So bot insbesondere die Braunkohleförderung, von der sich das Lausitzer Revier bis 2038 nun endgültig verabschiedet, bis 1990 noch über 100.000 Arbeitsplätze. Mit dem Ende der DDR brachen 90 Prozent dieser Jobs weg – und sowohl diese als auch viele weitere Branchen fuhren in die Hölle. Die Folge war eine starke Abwanderung junger Menschen, darunter insbesondere junge Frauen. Wenn in der Gegenwart Frauen fehlen, bleiben in der Zukunft Kinder aus – das merken wir heute an dem generell geringen Anteil junger Menschen an der Lausitzer Gesamtbevölkerung.

So liegt der Anteil junger Menschen unter 24 Jahren in vielen Ostdeutschen Bundesländern unter dem deutschlandweiten Durchschnitt von 7,3 Prozent. In der Lausitz erreicht nur Cottbus annähernd diesen Wert, der Landkreis Spree-Neiße bildet mit 4,2 Prozent hingegen das Schlusslicht.
Auf wenige Junge treffen viele Alte: 2020 waren 26,5 Prozent der Cottbuser Beschäftigten 55 Jahre oder älter, im umliegenden Landkreis Spree-Neiße sogar 30 Prozent, was den landesweiten Rekord darstellt. Mindestens jeder vierte Arbeitnehmer bzw. jede vierte Arbeitnehmerin geht demzufolge in absehbarer Zeit in Rente. Wahrscheinlich gehören auch deine Kolleg:innen, Eltern, Nachbarn, Lehrer:innen, … dazu?

Blick in die Glaskugel

Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), das Anfang 2023 einen neuen Standort in Cottbus eröffnete, warf 2021 einen Blick in die Glaskugel. In ihrer „Raumordnungsprognose 2040“ zeigte das Institut auf, wie die demografische Entwicklung der Brandenburgischen Lausitz bis zum Jahr 2040 aussehen könnte. Das Ergebnis war wenig überraschend: Die Region wird immer älter, während die Anzahl arbeitender Menschen sinkt (siehe oben).

Wir nehmen uns mit: Unsere Elterngeneration wird auf dem Arbeitsmarkt eine große Lücke hinterlassen – sie tut es im Grunde heute schon. Ein deutschlandweites Phänomen, das der Lausitz besonders zu schaffen macht.

Boomregion Lausitz

Doch diesmal soll alles anders werden als in der Nachwendezeit. Die Braunkohle geht endgültig, dafür gibt’s Kohle vom Bund. 40 Milliarden Euro Strukturhilfen fließen in die fossilen Kohleregionen, um sie in moderne Wissens-, Technologie- und Energieregionen zu transformieren. Am Horizont blüht eine neue Wissenschafts-, Industrie- und Behördenlandschaft auf – und auch eine neue Infrastruktur entsteht, von Straßen- und zahlreichen Schienenprojekten bis hin zur Schnellzugtrasse Berlin-Lausitz-Breslau. Die Lausitz vermarktet sich selbst als dynamische Wachstumsregion und attraktiver Investitionsstandort, soll eine Modellregion für die Transformation weiterer Kohleregionen in Europa werden.
Allein in Cottbus sind 15.000 neue Arbeitsplätze verankert. Lausitzweit dürfte die Marke von 20.000 Stellen geknackt werden. Ursprünglich war die bundespolitisch gewollte Strukturentwicklung mit dem Versprechen verbunden, die im Braunkohle-Business wegfallenden Jobs zu ersetzen – mittlerweile sieht es danach aus, dass dieser Wunsch mehr als übererfüllt wird. Das schafft in der Lausitz eine einzigartige Situation: Auf der einen Seite scheiden besonders viele Kräfte aus dem Markt aus, auf der anderen Seite kommen unglaublich viele Jobangebote neu dazu. Das Verhältnis von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt der „Boomregion“ wird in den nächsten Jahren gehörig ins Wanken geraten.

Nach den Sternen greifen

Was insbesondere den vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen der Lausitz Sorgenfalten auf die Stirn treibt, bedeutet für alle Hiergebliebenen, Zugezogenen und Zurückgekehrten eine einmalige Chance. Junge Berufsanfänger:innen oder Studienabsolvent:innen etwa sind in der komfortablen Position, Ansprüche gegenüber dem potenziellen Arbeitgeber offensiv zu stellen. Mit einer gesunden Portion Fleiß und Ehrgeiz kann der Weg insbesondere in der Lausitz sogar ganz nach oben führen.

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Elektroberufe zählen zu den Berufsgruppen, in welchen Lausitzer Unternehmen am längsten auf Bewerbungen warten müssen. Foto: industryview, istock

Hier bist du heute gefragt

In der Lausitz sind Stellen durchschnittlich 152 Tage lang ausgeschrieben – 29 Tage länger als im deutschlandweiten Durchschnitt. Lausitzer Jobgesuche treffen auf durchschnittlich 0,8 weniger Arbeitssuchende als in der Gesamt-BRD. Junge Menschen mit frischen Abschlüssen sind zudem naturgemäß attraktiver für potenzielle Arbeitgeber, da sie noch eine lange Zukunft vor sich haben und entwicklungsfähiger sind als Alteingesessene. Besonders lange sind laut der Agentur für Arbeit Arbeitnehmergesuche in den folgenden Berufshauptgruppen ausgeschrieben:

  • (Innen-)Ausbauberufe: 268 Tage
  • Mechatronik-, Energie- und Elektroberufe: 265 Tage
  • Hoch- und Tiefbauberufe: 261 Tage
  • Nichtmedizinische Gesundheit, Körperpflege, Medizintechnik: 216 Tage
  • Metallerzeugung, -bearbeitung, -bau: 211 Tage
  • Kunststoff- und Holzherstellung bzw. -verarbeitung: 206 Tage
  • Führer von Fahrzeug- und Transportgeräten: 201 Tage
  • Maschinen- und Fahrzeugtechnikberufe: 195 Tage

Besonders hohe zukünftige Bedarfe bestehen laut dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) bis 2040 in Brandenburg und Sachsen in diesen Berufsgruppen:

  • Informatik-, Informations- und Kommunikationstechnologie: plus 18.000
  • Nichtmedizinische Gesundheit, Körperpflege, Medizintechnik: plus 18.000
  • Lehrende und ausbildende Berufe: plus 14.000
  • Medizinische Gesundheits-berufe: plus 7.000
  • Tourismus-, Hotel- und Gaststättenberufe: plus 7.000

Interessanterweise sagt das BIBB in einigen der aktuell vakanten Berufsgruppen für die Zukunft einen Rückgang des Bedarfes voraus:

  • Maschinen- und Fahrzeugtechnikberufe: minus 30.000
  • Hoch- und Tiefbauberufe: minus 22.000
  • Führer von Fahrzeug- und Transportgeräten: minus 18.000
  • (Innen-)Ausbauberufe: minus 18.000
  • Mechatronik-, Energie- und Elektroberufe: minus 16.000

Daraus kann man mehrere Annahmen entwickeln: Möglichweise müssen künftig immer mehr Betriebe aus den Branchen aufgeben, die schon heute Nachwuchssorgen haben. Eventuell reguliert sich der Markt infolge der Globalisierung so, dass mehr handwerkliche Leistungen und Produkte international gefertigt und bezogen werden. Vielleicht machen auch Digitalisierung und Automatisierung einige Stellen in Zukunft überflüssig. In jeglicher Hinsicht ergeben sich auch hieraus Chancen für junge Menschen: Industrie und Handwerk 4.0 wollen gelernt sein, die Konzepte dahinter sind digitalgeprägten Generationen zugänglicher. Und nicht zuletzt suchen zahlreiche Chefinnen und Chefs eines Tages einen Nachfolger, wenn der Ruhestand bevorsteht.

Ins gemachte Nest

Rund 15 Prozent der Betriebsinhaber:innen in Brandenburg planen, ihr Unternehmen innerhalb der nächsten drei Jahre abzugeben. Bis zum Jahr 2026 müssen ganze 4.800 Firmen übertragen werden – in Sachsen sogar 7.600. Entsprechende Qualifikationen vorausgesetzt, kann es durch eine Unternehmensnachfolge ganz schnell gehen, dass man sich als junger Erwachsener im Chefsessel wiederfindet.

www.hwk-cottbus.de/macher

DB Baufortschritt 2023 01 25 c Filmart GmbH Christian Horn Kopie
Diese Drohnenaufnahme vom Januar 2023 zeigt den Baufortschritt an der fast 450 Meter langen ersten Halle, in der ab 2024 ICE-Züge gewartet werden sollen. © Filmart, Christian Horn

Future Stars

Perspektiven bieten darüber hinaus insbesondere die zahlreichen Strukturwandelprojekte und die Ansiedlungen, die der Lausitzer Entwicklungsimpuls bereits anziehen konnte. In Cottbus sind mit dem Lausitz Science Park (Potenzial von 10.000 Arbeitsplätzen), Europas modernstem Bahnwerk (1.200) sowie dem Innovationszentrum Universitätsmedizin Cottbus (1.600) drei Mega-Vorhaben am Anlaufen. In Görlitz entsteht das Deutsche Zentrum für Astrophysik (über 1.000 künftige Mitarbeiter:innen). Infolge des Niederlassens von Tesla in Grünheide sprießen vielerlei batteriebezogene Firmen aus dem Boden, wodurch in Brandenburg ein deutschlandweit einzigartiger Batteriekreislauf von der Materialgewinnung bis zum Recycling erschlossen wird. HY2GEN wird künftig grünes Kerosin auf dem Green Areal Lausitz herstellen, was seinerseits ein ökologischer Industriepark auf dem Flugplatz Drewitz bei Jänschwalde werden soll. Die Investitionen für all diese Vorhaben gehen in Summe in die Milliarden, die neuen Arbeitsplätze in die Tausende. Und alle suchen junge, gut ausgebildete Menschen. Wo sonst liegen so viele Chancen auf der Straße, als in der Lausitz?

Zugreifen, bitte

Es liegt am Ende an jeder bzw. jedem Einzelne:n, zuzugreifen und sich die attraktivste Perspektive rauszusuchen. In der Lausitz treffen diese vielfältigen Möglichkeiten, angefangen bei einer wissenschaftlichen Karriere über Verantwortung für Klimaschutz bis hin zur Nachfolge etablierter Unternehmen, auf vergleichsweise geringe Lebensunterhaltungskosten. Hierzulande kann man also nicht nur besonders schnell Karriere machen, sondern auch günstig wohnen.

Eine einzigartige Kombination, die mittlerweile immer mehr nach Außen dringt. Das Land Brandenburg startete zu diesem Zweck die Kampagne „Die Lausitz. Krasse Gegend“, Cottbus vermarktet sich selbst als Boomtown, und der Junge Lausitz e.V. verbreitet die Botschaft direkt vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Alle sind herzlich eingeladen, beim Lausitzer Wandel mitzumachen – und ihren Freunden davon zu erzählen!

Future Stars – hier entsteht Zukunft
Arbeitsplätze durch Strukturwandelvorhaben und Ansiedlungen in der Lausitz

  • Wissenschaft & Forschung: 13.470
  • Rund um den Batteriekreislauf: 1.705
  • Gesundheit: 1.600
  • Verwaltung, Sozialversicherung, Verteidigung: Eisenbahn: 1.220
  • Regenerative Kraftstoffe: 300
  • Sonstige: 220

Summe: ca. 20.000
(Quelle: Agentur für Arbeit Cottbus)