Die Lausitz – das Lützerath 2.0?!

Die Lausitz – das Lützerath 2.0?!
Die Lausitz – das Lützerath 2.0?!

Im Lausitzer Revier wird zur Produktion von Strom und Wärme für die Region, aber auch für Berlin und weitere Großstädte im Umland, Braunkohle gefördert und verbrannt. Aufgrund der dabei entstehenden Emissionen sollen laut 1,5-Grad-Studie die Klimaziele verfehlt werden - die Resonanz in den Medien war und ist groß, ist an der Annahme aber etwas dran? Foto: Andreas Franke

„Kohleausstieg in der Lausitz 2030 reicht nicht für 1,5-Grad-Ziel”

…zu diesem Ergebnis kam Ende April eine Studie, die es mit selbiger Schlagzeile in zahlreiche namhafte Medien schaffte – darunter Tagesschau, Welt, Zeit, Süddeutsche Zeitung, FAZ & Co.
Die Message: „Selbst ein vorgezogener Ausstieg aus der Kohle in der Lausitz im Jahr 2030 käme zu spät, um die Klimaziele einzuhalten.” Dazu noch ein Kommentar von Luisa Neubauer: Sie wisse zwar, dass die Menschen in Ostdeutschland schlechte Erfahrungen mit dem Strukturwandel gemacht hätten. Dies dürfe aber keine Ausrede sein, um den Debatten auszuweichen.

Challenge angenommen, wir weichen der Debatte nicht aus. Kann die Lausitz tatsächlich fürs Überschreiten internationaler Klimaziele verantwortlich gemacht werden?

lauter für Klimaschutz

Klimaschutz, Energiewende und Kohleausstieg – diese Themen gehören zu den wichtigsten unserer Zeit und sollten dementsprechend breit diskutiert werden. Genau deswegen möchten wir uns im Folgenden ausführlich mit der genannten „1,5-Grad-Studie” befassen, die eine so breite Resonanz in der Medienlandschaft gefunden hat und dort das Thema Klima in Bezug auf die Lausitz bis heute einseitig prägt. Dabei möchten wir erkennen, wie fundiert die Studie ist, was sie bewegen will, was laut ihrer Sicht der Lausitzer Beitrag zur Energiewende sein kann oder ob die Region dem Erreichen nationaler oder sogar globaler Klimaziele tatsächlich im Weg steht.

„wenn möglich”

Wenn die 1,5-Grad-Studie dabei universell von „Klimazielen” spricht, meint sie eigentlich die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 °C. Dieser Wert taucht im Pariser Abkommen von 2015 auf, wo sich die Staatengemeinschaft dazu verpflichtet hat, die Erderwärmung auf „deutlich unter” 2 °C, wenn möglich 1,5 °C, zu begrenzen und in der zweiten Hälfte des 21. Jh. treibhausgasneutral zu werden. Sich einfach nur die – wenn möglich 1,5 °C – herauszugreifen und diese in der Studie mit „nationalen und internationalen Klimaschutzzielen” gleichzusetzen, entspricht aber nicht dem Pariser Abkommen. Laut diesem stecken sich die Staaten nämlich eigene Ziele und Deutschland ist mit geplanter Treibhausgasneutralität bis 2045 sogar deutlich ambitionierter, als das Abkommen verlangt.

Mit Biegen und Brechen

Zudem bezieht sich das 1,5-Grad-Ziel auf die globale Erderwärmung, dient also kaum zur Bewertung einer einzelnen Nation. Genau das versucht die 1,5-Grad-Studie aber. So nimmt sie einen von der IPCC ermittelten Wert für die Menge an CO2, die ab 2020 global nur noch ausgestoßen werden darf, um die 1,5 °C zu wahren und teilt Deutschland einfach einen Anteil zu, der Deutschlands Anteil an der Weltbevölkerung entspricht – begründet mit der Logik, dass jeder Mensch gleich sei, also ein gleiches „CO2-Budget” verdiene. Eine Industrienation, die international exportiert, derzeit viel CO2 emittiert und deswegen ihre gesamte fossile Wirtschaft umrüsten muss, so mit Entwicklungsländern zu vergleichen, die auch laut Pariser Abkommen Unterstützung von Ersteren beim Klimaschutz erhalten, ist aber wie Äpfel mit Birnen zu vergleichen.

TT G Emissionen

Pro-Kopf-Emissionen 2021 nach Ländern in t CO2. Als 4.-größte Industrienation hat Deutschland den 34.-größten CO2-Ausstoß.


Verzerrte Sicht

Und nachdem die 1,5-Grad-Studie so ein deutsches CO2-Budget (unverhältnismäßig) ermittelt hat, bekommt das Lausitzer Revier daran einen Anteil, der dessen Anteil an Deutschlands Gesamtemissionen und Kraftwerkskapazitäten entspricht. Doch während das deutsche Budget basierend auf dem Jahr 2016 errechnet wurde (da man sich im Dezember 2015 im Pariser Abkommen zum Klimaschutz verpflichtet hatte), wird das Lausitzer Budget basierend auf 2021 errechnet, die Studie ändert also einfach ihre Methodik. Da seit dem Pariser Abkommen deutlich an Braunkohle-Emissionen gespart werden konnte, bezieht die 1,5-Grad-Studie diese Fortschritte so nicht ein und arbeitet mit einem für die Lausitz ungünstigeren Wert – welcher dann für die Schlagzeile verantwortlich ist, dass die Lausitz das 1,5 Grad-Ziel nicht einhält. Ein scheinbar unseriöser Rechentrick.

WIR verfehlen das 1,5 °C Ziel?!

So wird dann die Aussage getroffen, dass „das Budget bereits in der zweiten Hälfte von 2025 aufgebraucht” ist und die Braunkohlekraftwerke schon ab 2024 gedrosselt werden sollten. Mit korrigierten und einheitlichen Werten auf der Basis des Jahres 2015 dagegen könnte der Betrieb (auch laut weiteren Berechnungen der Studie) bis Ende 2034 weiterlaufen – mal ganz abgesehen davon, dass die deutschen und Lausitzer Klimaziele sich nicht durch einfache Bruchrechnung nach Bevölkerungsanteil bestimmen lassen. So fällt in der Rechnung der 1,5-Grad-Studie nämlich auch auf, dass sich das deutsche CO2-Budget seit 2016 in sechs Jahren bereits mehr als halbiert hat, also wahrscheinlich schon vor dem Lausitzer Budget aufgebraucht sein wird. Deutschland handelt in der Realität nämlich auch nicht nach den selbst geschaffenen Zielen der 1,5-Grad-Studie.

TT Grafik Budget

Das deutsche Budget wird momentan schneller verbraucht als das der Lausitz, welches durch Kraftwerksstilllegungen nach Kohleausstiegsgesetz in den nächsten Jahren deutlich langsamer sinkt und bis 2034 hält.


Mathe-Pro? Wir rechnen nach!

Basis: Laut IPCC dürfen nach 2020 global maximal 500 Gigatonnen CO2 (1 Gt = 1 Mrd. t) emittiert werden, um das 1,5 °C-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent (komplexe Berechnung) einzuhalten.

Teil 1: Berechnung des deutschen CO2-Budgets ab 2022

1. Rechnung ab 2016 (Pariser Abkommen Dezember 2015) durch Addition des IPCC-Wertes mit globalen Emissionen 2016-2019

500 Gt + 40 Mio. t + 40 Mio. t + 41 Mio. t + 42 Mio. t ≈ 663 Gt

2. Deutschlands Anteil am CO2-Budget entspricht Deutschlands Anteil an der Weltbevölkerung (~1,1 Prozent)

663 Gt x 1,1 % ≈ 7,3 Gt

3. Vom nun deutschen Budget für 2016 werden die nationalen Emissionen 2016-2021 subtrahiert, um den Wert von 2022 zu erhalten.

7,3 Gt - 803 Mio. t - 786 Mio. t - 755 Mio. t - 707 Mio. t - 647 Mio. t - 666 Mio. t ≈ 2,93 Gt

Aufgrund leicht abweichender Daten bzw. Rundungen weicht unser Ergebnis für Teil 1 um 0,2 Gt von dem der Studie – 3,1 Gt – ab und ist sogar kleiner.

Teil 2: Berechnung eines CO2-Budgets für das Lausitzer Revier

4. Anteil der Braunkohle am deutschen Budget entspricht Anteil an nationalen Gesamtemissionen 2021 (~16 %)

3,1 Gt x 16 % = 496 Mio. t

Wie in Schritt 1 für Deutschland, müsste auch für die Lausitz ab 2016 gerechnet werden. Damals betrug der Anteil ~20,2 %.
7,3 Gt (Wert auf Schritt 2) x 20,2 % ≈ 1,48 Gt

5. Unter Berücksichtigung der Kraftwerkskapazitäten und aufgrund des Strukturwandel-Ausgleiches erhalten die ostdeutschen Reviere davon einen Budgetanteil von 60 %.

496 Mio. t x 60 % = 298 Mio. t 1,48 Gt x 60 % ≈ 885 Mio. t

6. Anteil des Lausitzer Reviers entspricht Anteil an Kraftwerkskapazitäten in Ostdeutschland (~68,79 %)

298 Mio. t x 68,79 % = 205 Mio. t 885 Mio. t x 68,79 % ≈ 608 Mio. t

7. Erst jetzt wird durch Subtraktion der Lausitzer Emissionen 2016-2021 das Lausitzer Budget für 2022 berechnet

608 Mio. t - 55 Mio. t - 55 Mio. t - 55 Mio. t - 47 Mio. t - 40 Mio. t - 43 Mio. t = 314,7 Mio. t

Ergebnis der Studie: Mit 205 Mio. t statt 315 Mio. t veranschlagt die 1,5-Grad-Studie der Lausitz ein zu kleines Budget.


 Lützerath Aufmacher

Das Dorf Mühlrose in der Oberlausitz – das nächste Lützerath?!

FossilExit durch Studie

Mit einer Zielsetzung, die weder dem Pariser Abkommen noch den deutschen Klimazielen entspricht, einer Rechnung, in der spontan die Methodik zu Ungunsten der Lausitz geändert wird und ohne den Fakt zu beachten, dass auch Deutschland insgesamt die von der 1,5-Grad-Studie geschaffenen „Klimaziele” wahrscheinlich vor 2030 überschreiten wird, entsteht die Forderung der 1,5-Grad-Studie nach einem früheren Kohleausstieg in der Lausitz. Hinter der Studie steckt dabei die „FossilExit-Forschungsgruppe”, die im Auftrag von Fridays for Future und Beyond Fossil Fuels gearbeitet hat und mit ähnlicher Methode auch schon Studien zum Überschreiten des 1,5-Grad-Ziels zielgenau zu den jeweiligen Protestbewegungen bei Lützerath und dem Hambacher Forst veröffentlicht hat. Die Namen dürften die Motivation hinter der Studie verraten.

Vom Papier in die Realität

So wird sich auch in der 1,5-Grad-Studie zur Lausitz mehrfach auf das Dorf Mühlrose in Schleife, Oberlausitz bezogen, welches derzeit bis 2024 zur Förderung der darunter befindlichen Kohle geräumt werden soll. „Die Kohle unter dem Dorf darf bei Einhaltung der Klimaschutzziele nicht verbrannt werden.” – so die Studie, während schon kurz nach ihrer Veröffentlichung (am 27. April auf einer Pressekonferenz von Fridays for Future) am 7. Mai bei Demonstrationen zum Kohleausstieg in Schleife auf diese verwiesen wurde. Und Ende April war von Aktivist:innen auch ein Klimacamp im Lausitzer Örtchen Mühlrose geplant – soll hier in der Lausitz als „Symbol des Kohlewiderstands” ein zweites Lützerath geschaffen werden?

Verschiedene Perspektiven

Doch eben jenes Klimacamp musste abgesagt werden, da die Bewohner:innen aus der Lausitz selbst, als Form einer Gegendemonstration, eine Menschenkette um Mühlrose bildeten – und zeigten, dass die Menschen der Region eine ganz andere Sicht auf das Thema haben und mit der Abbaggerung von Mühlrose als Folge demokratischer Mehrheitsentscheidungen und offensichtlich guten Ausgleichsmaßnahmen einverstanden sind.

Verschiedene Realitäten

Für die (noch) eher strukturschwache Lausitz ist die Kohleverstromung nämlich nach wie vor ein wichtiger Wirtschaftszweig und in ihrem Auslaufen enorm wichtig für ein Gelingen der Transformation der Lausitz hin zum grünen Powerhouse Deutschlands. Anders als die 1,5-Grad-Studie nämlich vermuten lässt, hat sich die Lausitz mit dem Strukturwandel längst auf den Weg zu einem Musterschüler für Klimaschutz gemacht. Der Mut der LEAG, die in der Lausitz in wenigen Jahren Deutschlands größtes zusammenhängendes Zentrum erneuerbarer Energie an Land – mit 20 GW aus Windkraft, Solar, Wasserstoff-Kraftwerken,... - und Deutschlands größten Batteriepark errichten will, wurde so selbst vom grünen Bundeswirtschaftsminister Habeck gelobt. Er ist inzwischen Lausitz-Fan und spricht bei den Vorhaben von „atemberaubenden Zahlen“. Daneben entstehen in der Lausitz gleich mehrere Batteriefabriken, Europas modernstes Bahnwerk, diverse Forschungsvorhaben zur Dekarbonisierung – die Region wird zum Reallabor für die Energiewende.

mühlrose menschenkette c Jannis Simons

Mühlrose stellte sich Ende April quer und brachte mit einer Menschenkette zum Ausdruck, dass sie kein „Lützerath 2.0“ werden möchte. Foto: Jannis Simons


leag 1920x1080 hd 

Mit heute noch jährlich 1,2 Milliarden Euro Wertschöpfung aus der Kohle sorgen LEAG und die Lausitz für fast jede zehnte Stromstunde in Deutschland und garantieren, dass auch in Berlin und anderen Großstädten das Licht nicht ausgeht. Mit der Strukturentwicklung soll dies und noch mehr zukünftig mit Erneuerbaren funktionieren - der Umstieg braucht aber Zeit. Grafik: Büro68

Für die grüne Zukunft der Lausitz

So wurde von der sogenannten „Kohlekommission”, die nach dem „Klimaschutzplan 2050” von 2016 (Deutschlands Umsetzung des Pariser Abkommens) eingesetzt wurde und als divers zusammengesetzten Beratergremium – von Greenpeace bis hin zum Bundesverband der Deutschen Industrie – zwischen 2018 und 2019 arbeitete, nämlich schon ein gesellschaftlicher Kompromiss gefunden, der heute auch im Gesetz steht. Und dieser bezieht neben Klimaschutz auch Wirtschaft und Beschäftigung in der Lausitz mit ein.

Der Kohleausstieg ist demnach 2038 festgeschrieben (bei ausreichender Versorgungssicherheit und gelungenem Strukturwandel optional 2035) und die Lausitz erhält Fördermittel in Höhe von 17 Milliarden Euro als Ausgleich und für den Aufbau einer grünen Wirtschaft.

Wandel braucht Zeit

Dieser Übergang benötigt aber noch Zeit und auch die Einnahmen aus dem laufenden Geschäft, nur so funktioniert z.B. die Transformation der LEAG aus eigener Kraft. Und da ein Teil der Fördermittel erst nach 2030 ausgeschüttet wird und gerade der Aufbau großer Infrastrukturvorhaben bis weit in die 2030er hinein dauert, würde mit einem vorzeitigen Kohleausstieg ein Großteil der Lausitzer Wertschöpfung wegbrechen, während sich die Alternativen erst im Aufbau bzw. der Planung befinden. Als Folge könnte die Region uninteressant für Investoren werden, was der Strukturentwicklung nachhaltig schaden würde – und genau ein solches Scheitern wäre für Deutschlands Klimaziele und auch die Vorbildwirkung für die Transformation anderer Kohleregionen in Europa und darüber hinaus schlecht.

Verschiedene Qualitäten

Dem Entscheidungsprozess der Kohlekommission, die genau solche komplexen Bedingungen mit in Betracht gezogen und diverse Experten und Gutachten eingebunden hat, stellt sich also nun die 1,5-Grad-Studie entgegen, die stattdessen auf einfache Bruchrechnung setzt und aus rein klimapolitischer Perspektive handelt.

2038, optimal 2035, nun 2030?!

Und trotzdem ist es nicht nur die 1,5-Grad-Studie, die versucht, an der Entscheidung der Kohlekommission zu rütteln. Denn ebenso wie Deutschlands Klimaziele nach den Beschlüssen von „Klimaschutzplan 2050” und Kohlekommission angezogen wurden (von damals 80-95 Prozent Treibhausgasreduktion bis 2050 auf heute -neutralität bis 2045), wird nun auch von verschiedenen Seiten nach einem deutlich früheren Kohleausstieg verlangt. So bestanden die Grünen schon im Koalitionsvertrag der Ampel auf ein „idealerweise 2030” zum Kohleausstieg und nachdem dieser im Rheinischen Revier bereits vorgezogen wurde, bekräftigte man auf einer Tagung in Weimar im März 2023 nochmals, dass man den vorzeitigen Ausstieg auch in Ostdeutschland anstrebt.

Im Rheinischen Revier ist man raus

„Die Region wird zum Vorbild und zeigt, dass ein beschleunigter Kohleausstieg nicht nur notwendig, sondern auch machbar ist. Das muss den Weg für einen bundesweiten Kohleausstieg 2030 weisen.” – so die Grünen zum Rheinischen Revier, welches sich aber gerade in einem Punkt stark vom Lausitzer Revier unterscheidet: der wirtschaftlichen Abhängigkeit. Denn Nordrhein-Westfalen, besonders der Ruhrpott, hat längst andere Wirtschaftszweige gefunden, die das Bundesland zum wertschöpfungsstärksten ganz Deutschlands machen, ganz anders als die immer noch strukturschwache Lausitz.

Übrigens sind selbst beim Ausstieg im Rheinischen Revier bis 2030 Optionen vorhanden, dass – wenn die Versorgungssicherheit nicht gewährleistet werden kann – die Kohlekraftwerke auch über 2030 hinaus verlängert in Betrieb bleiben können. Darüber wird aber nicht gesprochen.


1

Sicherer Strom, Wärme & Co.

Denn damit ein Kohleausstieg 2030 aber überhaupt in der Theorie gelingen könnte, müsste die Versorgungssicherheit mit (bezahlbarem) Strom zu diesem Zeitpunkt - auch ohne Kohle - überhaupt möglich sein. Momentan hat diese nämlich noch einen Anteil von 33% am deutschen Strommix. Der Anteil der Erneuerbaren liegt dort zwar „schon” bei 46,3%, betrachtet man aber den gesamten Energiebedarf einschließlich der Sektoren Verkehr, Wärme und Industrie, sinkt der Anteil erneuerbarer Energie auf 17,4%. Und da die Sektoren Verkehr, Wärme und Industrie bis 2030 elektrifiziert werden sollen, um fossile Energien zu ersetzen, kommt dort noch eine Mammutaufgabe auf die Erneuerbaren zu.

Erneuerbare müssen liefern – nicht Kohle

„Das Ziel ist eine mindestens 80% Erneuerbare Stromerzeugung bis 2030 und eine treibhausgasneutrale Stromerzeugung bis 2035. Das geht nur mit einem zeitnahen Kohleausstieg.” – so die 1,5-Grad-Studie, in Wirklichkeit ist es aber genau andersherum, die Erneuerbaren müssen stark genug ausgebaut sein, damit auf Kohle verzichtet werden kann. So liegen die von Wirtschaftsminister Habeck vorgestellten Ausbauziele der Bundesregierung bis 2030 zwar bei ordentlichen 145 GW Windkraft (115 GW an Land, 30 GW auf See) und 215 GW Solarkraft. Gerade in den letzten 5 Jahren sind die Fortschritte vor allem bei der Windkraft aber extrem ins Stocken geraten, sodass im Schnitt jährlich nur 2,19 GW (1,66 GW an Land und 0,53 GW auf See) ausgebaut wurden. Stand 2022 sind nur 68 GW Windkraft (58 GW an Land und 8 GW auf See) installiert. Der Ausbau müsste eigentlich schon lange mehr als dreimal so schnell laufen, gerät aber durch Genehmigungsverfahren und Lieferschwierigkeiten ins Stocken.

Eye-Opener Ukrainekrieg

Dass bei all den Debatten um die Lausitz und deren Kohlekraftwerke momentan trotzdem noch nicht auf diese verzichtet werden kann, zeigte sich spätestens letztes Jahr, als die nach Kohleausstiegsgesetz planmäßig in Sicherheitsbereitschaft übergegangenen Blöcke E und F des Kraftwerks Jänschwalde am 1. Oktober 2022 wegen Versorgungsengpässen wieder ans Netz gehen mussten. Wir kommen beim Ausbau des Energienetzes schon seit 2011 nicht wie geplant voran, da helfen Zielsetzungen der Bundesregierung allein auch künftig nicht weiter.

Der Lausitzer Beitrag zum Klimaschutz

Es besteht kein Zweifel daran, dass Deutschland, um das Pariser Abkommen einzuhalten, früher oder später von einer fossilen auf eine erneuerbare Energieerzeugung umsteigen muss. Oft wird dabei Deutschlands Vorreiterrolle als Industrienation als Grund herbeigezogen, diesen Wandel so früh wie möglich zu absolvieren. Um dieser Rolle gerecht zu werden, muss dieser Wandel aber auch wirtschaftlich und sozial verträglich gelingen, damit andere Staaten einem solchen Beispiel folgen. Das bedeutet, dass sowohl die Versorgungssicherheit gewährleistet werden muss, als auch die vom Kohleausstieg betroffenen Regionen einen erfolgreichen Strukturwandel durchlaufen müssen. Während Ersteres schon eine enorme Herausforderung ist, hapert es auch beim zweiten. So hätte Bundeswirtschaftsminister Habeck eigentlich schon 2022 eine, laut Kohleausstiegsgesetz festgeschriebene, Analyse zum Fortschritt des Wandels in der Lausitz und damit der Situation des Kohleausstiegs vorlegen müssen – Papiere, die bis heute nicht ausgearbeitet wurden. So werden die direkt betroffenen Menschen in unnötiger Unklarheit gelassen, was gleichzeitig die Akzeptanz für die notwendige und unvermeidbare Transformation gefährdet und eine weitere Spaltung der Gesellschaft riskiert. Und in dieselbe Kerbe schlägt auch die 1,5-Grad-Studie, die versucht, auf dem Rücken der Lausitz eine eigenen Interessen folgende Debatte zu Mühlrose und dem Kohleausstieg in Deutschland zu erzeugen – und das mit einer insgesamt schwachen wissenschaftlichen Fundierung.