„Ich vermisse richtiges Brot“

„Ich vermisse richtiges Brot“
„Ich vermisse richtiges Brot“

„Envoyé de mon iPhone“ steht im Fuß von Ninas E-Mail, als sie uns die neusten Schnappschüsse von ihrem Auslandsabenteuer in Frankreich zukommen ließ. Sie lebt seit drei Monaten in Reims, der Stadt der Könige und des Champagners nahe Paris und betreut Menschen mit Handicap in einer sogenannten Arche. Nach dem Interview zum Start ihres Freiwilligendienstes im September holten wir nun die erste Wasserstandsmeldung von ihr ein, um zu erfahren, wie sie sich in dem für sie fremden Land einleben konnte. Während sie die französische Sprache schnell lernt, wie ihre iPhone-Systemsprache zeigt, sind die Croissant-Kultur und das Verhältnis von französischen Menschen zu Verkehrsampeln für sie noch ungewöhnlich …

Wie gefällt dir Reims?
Im Vergleich zu Paris und Marseille ist die Stadt mit knapp 200.000 Einwohnern kleiner – trotzdem hat Reims viel zu bieten. Es gibt viele Parks und Grünanlagen, Bars und Restaurants sowie einige Clubs. Man kann auf jeden Fall viel unternehmen. Die Lage der Stadt in der Champagne ist auch super, man ist in einer Stunde mit dem Zug in Paris. Das kann man etwa mit der Strecke zwischen Cottbus und Berlin vergleichen. Ein Highlight sollen die vielen Champagnerhäuser sein. Ich konnte noch keines besichtigen, habe aber gehört, dass sie sehr besonders sein sollen. Insgesamt war ich sehr positiv von Reims überrascht und fühle mich super wohl hier.

Wie sieht ein typischer Arche-Tag bei dir aus?
Mein typischer Tag in der Arche beginnt meistens zwischen 7 und 9 Uhr mit einem gemeinsamen Frühstück. Vormittags bin ich dafür verantwortlich, die Bewohner beim Haushalt zu unterstützen. Dabei ist es für mich schön zu sehen, wenn sich alle gegenseitig helfen. Es ist wichtig, dass man alle mit einbezieht. Zu meinen Aufgaben zählt auch, beim Duschen Hilfestellungen zu leisten. Dabei stehe ich daneben, gebe Anweisungen und gucke, dass alles ordentlich gemacht wird. Wenn etwas sein sollte, sind wiederum die richtigen Angestellten unserer Arche zuständig.
Mittags habe ich meistens frei, denn zu der Zeit sind unsere Bewohner in einer Tagespflege, wo die Arche-Bewohner aus mehreren Häusern zusammenkommen. Für mich ist das die Gelegenheit, die Stadt kennenzulernen und zu Mittag zu essen.

Ninas typischer Tag

Gegen 17 Uhr, wenn die Bewohner zurückkehren, fange ich wieder an zu arbeiten. Da ist dann die Kreativität von uns Freiwilligen gefragt, denn wir organisieren die Nachmittagsaktivitäten. Im Moment basteln wir zum Beispiel Weihnachtsdeko fürs Haus oder machen eine Spielerunde. Manchmal sind unsere Bewohner auch sehr müde und wir schauen einen Film – dann ist es schön, einfach mal zu chillen. Zwei Mal pro Woche bin ich zudem für die Zubereitung vom Abendessen zuständig. Wir sind zehn Leute – für uns alle zu kochen, ist gar nicht so einfach!
Ein bisschen anders sieht mein Tagesablauf am Wochenende aus. Dann fällt die Zeit der Bewohner in der Tagespflege weg, was mehr Arbeit für uns Assistenten und Freiwillige bedeutet. Gleichzeitig aber auch noch vielfältigere Erlebnisse. So gehen wir beispielsweise wandern oder unternehmen etwas in der Stadt. Ein kleines Highlight war für mich ein Ausflug zu einem Rollschuhwettbewerb.

Gibt es etwas von Zuhause, was du vermisst?
Ich vermisse sogar relativ viel. Am Anfang natürlich meine Familie, mein Umfeld, das Vertraute von Zuhause. Das hat sich mittlerweile gelegt, denn ich habe mich hier super eingelebt. Aber einige Sachen finde ich immer noch seltsam. Club Mate zum Beispiel kostet hier 3 Euro. Auch das Bier – das ist zwar lecker, aber einfach viel zu teuer. Andere Produkte, die mir lieb sind, gibt es hier gar nicht zu kaufen. Da bekomme ich nach wie vor ein bisschen Heimweh und wünsche mich für einen Moment nach Deutschland zurück.
Eine noch größere Sache, die mir aufgefallen ist: Die Franzosen frühstücken anders. Frühstück besteht hier quasi nur aus einem Kaffee und maximal einem kleinen Baguette oder Croissant. In Deutschland hat das Frühstück einen höheren Stellenwert und ist üppiger. Apropos Frühstück: Ich vermisse richtiges Brot! Es gibt zwar sehr viel Baguette in Frankreich, aber dunkles Brot wird nicht so viel gegessen.
Neben der Brotkultur ist auch der Straßenverkehr gewöhnungsbedürftig. Ich wurde in der Arche gefragt ob ich hier Auto fahren kann. Ich habe auch einen Führerschein in Deutschland, aber nach meinen ersten Erfahrungen als Fußgängerin hat mich das Autofahren in Frankreich viel Überwindung gekostet. Die Menschen halten sich hier nicht so sehr an die Regeln wie die Deutschen: So wird hier tendenziell schneller gefahren und auch mit Ampeln hat es nicht jedermann so. Aber man gewöhnt sich dran – und es ist auch ganz cool, mal nicht auf Ampeln achten zu müssen.

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Welche Dinge gefallen dir an Frankreich wiederum besser als an Deutschland?
Zum einen ist mir aufgefallen, dass Franzosen sehr auf Höflichkeit achten. Das merkt man allein schon an der Sprache mit ihren zahlreichen Höflichkeitsfloskeln. Das Miteinander ist einfach sehr angenehm. Das soll aber nicht bedeuten, dass in Deutschland alle unhöflich sind.
Zum anderen gefällt mir das Essen hier besonders gut. In der Arche wird sehr gut gekocht – auch, wenn ich nicht gerade am Herd stehe :-). Die Bäckereien bieten eine unglaubliche Auswahl an Croissants und Baguettes – das ist ganz anders als in Deutschland.
Was mir noch aufgefallen ist: In meiner Provence herrscht für mein Gefühl mehr Vielfalt, als in dem Teil von Deutschland, aus dem ich hergekommen bin. Hier kommen viel mehr Kulturen zusammen. Viele von meinen neuen Freunden stammen aus anderen Ländern oder haben Eltern mit ausländischen Wurzeln. Das ist super cool, weil man dadurch seinen Horizont erweitert.

Möchtest du jemanden grüßen?
Meine Familie in Cottbus und meine Freunde!

Wir begleiten Nina über ihr gesamtes Auslandsjahr. Freu dich also auf das nächste Interview mit ihr in der kommenden lauter-Ausgabe. Hast du Fragen an Nina? Sende sie uns per Facebook oder Instagram!